JOHANNA RÜGGEN

Die Fotografie im Bild

Johanna Rüggen beginnt ihre künstlerische Arbeit mit der Auswahl von fotografischem Bildmaterial, das anschließend in beinahe hyperrealistischer Manier in Zeichnung oder Malerei übertragen wird. Die Vorlagen sind privater Natur, stammen aus dem eigenen Fundus oder aus Foto- und Postkartensammlungen, die sie auf Trödelmärkten oder Antiquariaten findet.
Aus dieser Bilderfülle wählt die Künstlerin nach konkreten Kriterien aus; es geht stets um Motive, sie sich so stark in die Tradition der Privatfotografie eingeschrieben haben, wie etwa Geburtstags- und Weihnachtsfeiern, Urlaubsreisen oder Schönwettersonntage, dass man von einem Kanon, einer Ikonografie des kleinbürgerlichen Glücks sprechen kann. Dadurch ist den Bildern ein seltsames Spannungsverhältnis eigen, zwischen etablierter Knipsästhetik und dem singulären, privaten Ereignis.
Bei Rüggens minutiöser Eins-zu-eins-Übertragung der Bilder werden diese beiden Momente festgehalten, denn die künstlerische Strategie ist explizit darauf ausgerichtet, das Medienspezifische der Fotografien im gezeichneten und gemalten Bild präsent zu machen, statt das Fotografische in das Zeichnerische oder Malerische zu übersetzen. Es werden etwa keine Ausbesserungen vorgenommen, sondern allerlei von dem, das man als „Fehlerhaft“ bezeichnen könnte – insbesondere die Unschärfe mancher Aufnahmen -, übernommen. Dazu zählt auch die Komposition, die in den Fotografien häufig zugunsten der Motivik vernachlässigt wird und zugleich zu jenen Elementen gehört, die gerade für die Medien Zeichnung und Malerei als wesentlich gelten. Es geht also weniger darum ein Foto der Zeichnung oder der Malerei unterzuordnen, sondern vielmehr darum, die Materialität der Fotografie mit zeichnerischen oder malerischen Verfahren zu erzeugen. Verdichtet wird diese Strategie durch Rahmung und Hängung, die den Kontext, in dem die Bilder entstehen und den Ort, an dem sie im häuslichen Raum erscheinen, einbeziehen. So gelingt es Johanna Rüggen beide Materialien – die der Zeichnung bzw. die der Malerei als auch der Fotografie – hervortreten zu lassen, wodurch deren Eigenschaften sichtbar bleiben.

Friederike Sigler